Die Weihnachtsgeschichte als Start-Up-Story

(c) A. Pfannenschwarz

Der wirklich wahre Hintergrund der drei Weisen aus dem Morgenland. Ursprünglich für die Weihnachtsfeier des Studiengangs Unternehmertum 2018 geschrieben, hier CO2-schonend recycelt…

Frohe Weihnachten allerseits!!

Es waren einmal drei weise Männer. Sie arbeiteten als Gelehrte, Schriftkundige und Sterndeuter im Auftrag ihrer Herrscher. Caspar kam aus Persien, Melchior aus der Provinz Transdanubien, und Balthasar aus den Gebieten von Pankrit und Sangam in Asien. Die drei trafen sich eines Tages bei einem internationalen Astrologen-Kongress in Alexandria, denn alle hatten einen seltsamen Stern bemerkt, der sich anscheinend vom östlichen Mittelmeer aus am besten beobachten ließ.

Schnell kamen sie ins Gespräch und stellten fest, dass sie die Leidenschaft zur Sternkunde teilten. Caspar meinte: „Es ist nur schade, dass wir unser Handwerk so unpräzise ausführen müssen, weil die Sterne so klein und so weit weg sind. Die Beobachtung ist schwierig, und die Vorhersagen daher nicht immer ganz eindeutig. Mein Vorgänger im Amt wurde aufgrund eines falschen Orakels hingerichtet.“

Melchior sagte: „Ja – es liegt an der Beobachtung. Wir bräuchten einfach ein größeres Fernrohr. Das größte Fernrohr der Welt. Dann würden alle unsere Weisheit bewundern.“

Doch Balthasar wandte ein: „Das stimmt, aber wie sollen wir das anstellen? Das kostet eine Menge Geld – mehr Geld, als unsere Fürsten für wissenschaftliche Zwecke aufwenden wollen.“

Da hatten sie eine Idee. Im nahen Jerusalem hatte der römische Statthalter, König Herodes, gerade ein neues Unterhaltungsformat aufgelegt, „Die Höhle der Löwen“. Hier konnten Erfinder und Produktentwickler ihre neuen, innovativen Ideen öffentlich vorstellen, und zwar im Circus Maximus, der großen Arena der Stadt. Wenn das Volk jubelte, und wenn der Statthalter Palästinas, König Herodes die Idee auch gut fand, dann wurden sie mit Gold überschüttet und erhielten lukrative Verträge mit den ortsansässigen Pharisäern. Wenn nicht, dann wurden sie den Löwen vorgeworfen und bis auf die Knochen abgenagt (aus dieser Tradition entwickelte sich übrigens die „Lean Startup“-Methode).

Die drei Gelehrten gründeten eine Firma „myPalace.com“, was auf aramäisch so viel wie „Der gute Zweck“ hieß. Ihre Produktidee: Ein Paket mit allen Zutaten, um sich für eine Stunde wie in einem Palast zu fühlen und der täglichen Tristesse als Tagelöhner oder Bauer zu entfliehen. Darin zum Beispiel enthalten: Weiche Kissen, bunte Tücher, ein Palmwedel zum Luftfächeln, ein kleiner Pokal mit süßem Wein, etwas Weihrauch für den guten Duft, und zwei kleine Stückchen Myrrhe – eine milde Droge, die auch als Aphrodisiakum wirkte. So konnte jeder arme Schlucker für kurze Zeit zuhause wie in einem Palast schwelgen, auch wenn er in einer Strohhütte oder einer Baracke lebte.

Die drei Gründer investierten all ihr Geld, um diese Zutaten einzukaufen, in der Hoffnung auf den großen Deal. Sie zogen nach Jerusalem, der unruhigen Hauptstadt des von den Römern besetzten Palästinas. Gerade rechtzeitig, denn schon am nächsten Tag war eine weitere Folge von „Die Höhle der Löwen“ angesetzt, gleich nach der wöchentlichen Hinrichtung von Missetätern in der Arena. Das Team war hoch gestimmt, denn nachts beobachteten sie vom Dach der Herberge den Stern, er schien schon ziemlich nah.

An jenem Tag zogen also die drei Kompagnons aufgeregt in den Zirkus. Alle Ränge waren besetzt, das Spektakel galt als der Höhepunkt moderner Unterhaltungskunst. Die Leute jubelten, und König Herodes winkte milde von der Tribüne. Vor ihm hatte einige wohlhabende Geschäftsleute Platz genommen, die ihren Reichtum mit kreativen, neuen Produkten weiter steigern wollten und auf gute Ideen warteten. Die Tribüne war durch eine Doppelreihe römischer Legionäre abgesichert.

Als erstes trat ein Nubier auf und präsentierte eine vollautomatische Sklaven-Bestrafungsmaschine. Der oder die Sklavin wurde in eine Halterung eingespannt, und ein durch Wind-, Wasser- oder Eselskraft betriebenes Rad lief hinter ihrem Rücken. Je nach Schwere der Strafe konnte man Klapshände, Stöcke, oder Peitschen an dem Rad befestigen. Der Nubier fragte nach einem Freiwilligen, der die Maschine mal ausprobieren wollte, aber seltsamerweise fand sich niemand.

Überhaupt gefiel die Erfindung dem Volk nicht. „Warum soll ich das kaufen?“ rief ein Mann in der ersten Reihe. „Warum soll ich auf den Spaß verzichten, meine Sklaven selbst zu schlagen? Wo ist der Kundennutzen?“. Andere stimmte in den Protest ein und buhten den armen Nubier nieder. Herodes, besorgt wegen dem Aufruhr, gab einen Wink, und schon griffen die Wachen den Mann und warfen ihnen den Löwen zu Fraß vor. Das wiederum gefiel den Zuschauern besser, und die Stimmung hob sich.

Als nächstes trat ein Aramäer auf, der ein Rollenset erfunden hatte, das man unten an ein Kreuz klemmen konnte. Ein verurteilter Straftäter konnte so sein Kreuz bequem hinter sich her ziehen, anstatt es zu tragen. Er kam daher viel frischer bei der Hinrichtungsstätte an und hielt zur Belustigung des Volkes länger durch – aus der Sicht des Erfinders ein klarer USP.

Den einfachen Leuten gefiel das. Schließlich musste jeder damit rechnen, einmal unter die Räder der Besatzungsmacht zu kommen, und wenn man das Kreuz nicht mehr tragen musste, sah die Kreuzigung schon halb so wild aus. Jubel auf den Rängen.

Doch Herodes erhob sich und rief: „Was, wir sollen es den Delinquenten bequem machen? Am Ende soll Rom noch das Räder-Set unter dem Kreuz bezahlen? Kommt nicht in Frage! Zu den Löwen mit dem Tropf.“ Und der Aramäer wanderte zu den Bestien, die ihr Glück an diesem Tag kaum fassen konnten.

Doch den Besuchern gefiel es nicht, dass Herodes gegen sie entschieden hatte. „Schiebung“ riefen einige, und „Nieder mit der Konsumgesellschaft“. Herodes sah sich besorgt um um gab ein Zeichen, schnell den nächsten Erfinder zu holen.

Das war ein Gelehrter aus dem fernen Germanien. Er wollte Händler und andere Gewerbetreibende in eine Akademie holen, um sie unternehmerisch fortzubilden. Die Leute im Zirkus sahen sich an – was sollte das sein? Herodes seufzte: „Das werden die Leute auch in 2000 Jahren noch nicht vestehen. Zu den Löwen mit ihm.“

Doch selbst das besänftigte die Leute nicht mehr. Sie tuschelten aufgeregt miteinander und schienen mit der Gesamtsituation unzufrieden. Hastig wurden das nächste Gründerteam in die Arena geschickt. Caspar, Melchior und Balthasar von myPalace.com. Aufgeregt stolperten sie in die sandige Runde und riefen: „Eure Hoheit, liebe Kaufleute, wertes Gesindel. Sehet hier: Kauft unser Paket und lebt für eine Stunde wie ein König in seinem Palast. Wer möchte das mal ausprobieren?“

Die Leute merkten auf und wurden ruhig, das wollte sich keiner entgehen lassen. Ein armer Schlucker von ganz vorne, schmutzig und in Lumpen gekleidet, meldete sich als Freiwilliger. Die drei Gelehrten breiteten die Tücher aus, die Kissen darauf, und betteten den Mann sanft darauf. Er erhielt den Wein in die Hand gedrückt, der Weihrauch wurde entzündet und verbreitete einen Wohlgeruch in der Arena, der sogar das strenge Aroma der Löwen überdeckte. Und als der Mann die Myrrhe gekaut hatte und sichtlich stoned vor sich hin lächelte, da jubelte das Volk.

„Das will ich auch haben!“ schrie einer. „Shut up and take my money“ rief ein bärtiger Typ aus der fernen Provinz Brittannia. Viele Stimmen fielen gröhlend ein.

Unsere drei Helden lächelten unsicher in die Runde. Mit so einer Resonanz hatten sie gar nicht gerechnet. Sollte das wirklich schon der Break Even sein?

Da schrie ein Besucher lautstark: „Kann ich auch eine Familienpackung haben? Ich will nicht nur eine Stunde lang ein König sein, sondern einen ganzen Tag lang.“

„Ja!“ steuerte sein Nachbar bei. „Und überhaupt: Warum sollen wir uns nicht immer wie die Könige fühlen?“

„Genau – warum dürfen die Könige in Saus und Braus leben, und wir vegetieren dann gleich wieder vor uns hin, nachdem wir unser letztes Geld für diesen teuren Plunder ausgegeben haben?“

„Schiebung!“

„Nieder mit den Königen.“

„Krieg den Palästen, Friede den Hütten.“

Die Parolen wurden zusehends radikaler, der Circus Maximus verwandelte sich in eine Filterblase. Herodes, anfangs noch lächelnd, ergrimmte rasch.

„Undankbares Pack!“ schrie er. „Da gibt man euch Brot und Spiele, und der Dank dafür ist so ein revolutionäres Gewäsch? Legionäre: Räumt den Zirkus. Wachen: Tötet diese Aufrührer mit dem Weihrauch-Zeugs. Wärter: Lasst die Löwen los!“

Chaos brach aus. Die drei Gründer fanden sich in einer ausweglosen Lage. Von links rückten die Legionäre mit langen Speeren an, von rechts näherten sich die Löwen (glücklicherweise nicht mehr ganz so hungrig und wild), und von vorne stürmte die aufgebrachte Menge in die Manege. Das Gründerteam klammerte sich aneinander und sah der drohenden Insolvenz ins Auge.

„Pst. Hier lang!“ ertönte es da von hinten. Dort hatte ein vermummter Mann eine kleine Tür geöffnet, und führte sie durch einen niedrigen Tunnel in das Höhlensystem unter der Hauptstadt.

„Ich gehöre zur Volksfront zur Befreiung Palästinas.“ erklärte er ihnen dort mit glühenden Augen. „Wir würden gerne einen Großauftrag bei Ihrer Firma platzieren.“

„W-was?“ stotterte Caspar.

„Das war genial eben! So schnell führte bisher keine unserer Propaganda-Aktionen zu einem Aufstand.“ Der Mann gestikulierte begeistert. „Wir werden ein paar Hundert eurer Produkte in der Stadt verteilen. Die Leute kommen auf den Geschmack und wollen immer so leben. Dann sind sie bereit, für mehr Luxus zu kämpfen und zu sterben. Sie werden unsere Revolution unterstützen.“

„Aber – wir sind Gründer, keine Revolutionäre.“ wandte Melchior ein.

„Wo ist da der Unterschied?“ fragte der Mann. „Hier – da ist Gold, nehmt diese Kiste und liefert bis zum Neumond eintausend myPalace-Revolutionseinheiten.“

Gleich darauf standen sie vor den Toren von Jerusalem, in den Händen die Reste ihrer Vorführung, und das Kästchen mit Gold. Hinter den Stadtmauern war in der Ferne noch das Geschrei des Aufstands zu vernehmen.

„Was machen wir nun?“ fragte Balthasar. „Wir wollten doch keine Rüstungsfirma gründen. Ist dieser Auftrag mit unseren Governance-Richtlinien überhaupt vereinbar?“

„Erst mal weg hier.“ schlug der pragmatische Melchior vor. „Wir werden sicher bald gesucht. Reisen wir Richtung Süden. Der Stern sollte dort noch besser zu sehen sein.“

Sie brachen auf und diskutierten dabei erbittert über das Für und Wider des Auftrags. Ja, mit dem Gold würden sie sich ein tolles Teleskop bauen können. Und ja, das Geschäft wäre skalierbar – es gab noch viele Provinzen des römischen Reiches, die mit ihrer Situation unzufrieden waren, und in denen verschiedene revolutionäre Bewegungen ein Interesse an so einem Produkt haben würden.Mit jeder Meile wurde die Auseinandersetzung lautstarker – drohte das Team etwa an dieser Krise auseinander zu brechen?

Derweil dämmerte es schon. Am Horizont erschienen die ersten Häuser der nächsten Siedlung. Das musste Betlehem sein. Der Stern war nun schon ungewöhnlich groß, und wurde immer noch größer. Er sank über der Stadt nieder und strahlte dabei weißglühend. Die drei Gelehrten unterbrachen ihre Diskussion und eilten zu dem Punkt, an dem der Stern niederging. Das war vor den Außenbezirken der Stadt.

Als sie dort ankamen, klappte eine Seite des Sterns auf, und ein weiß gewandeter Mann trat heraus.

„Wer bist du?“ fragte Caspar neugierig.

„Ich bin ein Temponaut. Ein Zeitreisender. Ich komme aus der Zukunft.“ antwortete der Mann.

„Ein was?“ Melchior kratzte sich am Kopf.

„Ich komme aus einer anderen Welt.“ erklärte der Mann.

„Hä?“ Balthasar blinzelte verwirrt.

Der Mann seufzte. „Ich bin ein Engel Gottes.“ meinte er ergeben.

„Ach so.“ Die drei Gründer strahlten, denn nun hatten sie verstanden, was hier vor sich ging. „Dann kannst du uns sicher helfen – wir streiten darum, ob wir ein moralisch fragwürdiges, also möglicherweise nicht gottgefälliges Geschäft annehmen sollten, um Geld damit zu verdienen.“ sagte Caspar.

„Hm – wozu braucht ihr denn das Geld?“ wollte der Engel wissen.

„Um uns ein riesiges Fernrohr bauen zu lassen.“ antwortete Melchior.

„Und wozu braucht ihr das Fernrohr?“

„Um diesen seltsamen Stern aus der Nähe zu betrachten, der seit Wochen immer größer geworden ist.“

„Also diesen hier, ja?“ Der Engel wies auf den Stern hinter sich. Dieser gab knackende Geräusche von sich, wie erhitztes Metall beim Abkühlen.

„Ja – äh…“ Die drei Gründer sahen sich an.

„Wir brauchen kein Fernrohr mehr.“ sagte Balthasar langsam. „Also brauchen wir kein Geld dafür. Also müssen wir auch keine Revolutionsprodukte auf den Markt bringen. Wir sind frei!“

„Frei.“ nickten die beiden anderen erleichtert.

„Aber wir haben das Gold von diesem Revoluzzer angenommen. Das sollten wir verschenken.“ fuhr Balthasar fort. „Genauso wie die Restbestände unserer Waren, der übrige Weihrauch und die Myrrhe. Wir gehen zurück und widmen uns wieder unseren Studien, nun bereichert um die Erfahrung eines Gründungsversuchs.“

„Einverstanden.“ nickte Melchior. „Doch an wen sollen wir die Sachen verschenken?“

„Ich glaube, da weiß ich was für euch.“ sagte der Engel mit einem überirdischen Lächeln auf den Lippen…

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